GC INSIDER: Willkommen zurück, Oscar! Du bist in Zürich kein Unbekannter: 2022 hast du während eines Austauschsemesters bereits ein paar Wochen in der MNLB gespielt. Hast du damals gedacht, dass du schon so bald wieder hier sein wirst?
Oscar Carreno (OC): Nein, das habe ich tatsächlich nicht gedacht. Denn dass ich damals nach Zürich gekommen bin, war eher ein glücklicher Zufall. Eigentlich hatte ich für mein Austauschsemester Italien im Auge. An der Universität Bocconi in Mailand wollte ich mein Wirtschaftsstudium fortsetzen. Zürich war «nur» meine zweite Wahl. Als es dann doch Zürich wurde, wollte ich sportlich nicht aus dem Rhythmus kommen und habe deshalb beim Nationalliga B-Team angefragt, ob ich mittrainieren könnte. So habe ich einige sehr gute Kontakte geknüpft, die ich bis heute pflege. Jetzt freue ich mich aber umso mehr, wieder hier zu sein. Zürich ist nun definitiv meine erste Wahl.
Während deines ersten Aufenthalts in Zürich hast du frischen Wind ins Team gebracht. Was zeichnet deinen Spielstil aus und wie lässt du ihn nun als Trainer einfliessen?
Ich würde meinen Stil als «sehr energiegeladen» beschreiben. Ich möchte, dass jeder involviert ist – das gilt für die Spieler genauso wie für mich als Trainer. Ich bewege mich gerne viel und bin immer nah bei den Spielern, denn mir ist wichtig, schnell und direktes Feedback zu geben. Unser Ziel ist es, den Ball als Team von einer Seite zur anderen zu bewegen. Dabei verlasse ich mich nicht auf ein oder zwei Schlüsselspieler. Das Teamspiel steht im Vordergrund.
Wie seid ihr in die Saison gestartet?
Wir sind auf dem richtigen Weg. Unser erstes Spiel war ein Derby gegen Wädenswil, und diese Derbys sind immer besonders, weil da eine grosse Rivalität herrscht, die auch viel Spass macht. Die Arena war voll, und wir haben das Derby sogar gewonnen. Ein weiteres Highlight war der Sieg gegen Gossau. Danach hatten wir auch einige Herausforderungen und haben Spiele verloren. Aber jetzt geht es darum, den Mut nicht zu verlieren und weiter an unserer Vision zu arbeiten. Wir wollen als Team zusammenwachsen und stärker werden.
Welche Ziele habt ihr für diese Saison?
Ziel ist es, das Team weiter zu professionalisieren und den Teamgeist zu stärken. Es ist immer unser Anspruch, unser Bestes zu geben. Und wir wollen jedes Spiel gewinnen. Realistisch gesehen gibt es zwar stärkere Teams in der Liga. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass man sich hohe Ziele stecken muss.
Du hast deine Trainerkarriere bereits in sehr jungen Jahren begonnen. Was waren die grössten Lernmomente für dich auf diesem Weg?
Mein Alter sehe ich als Vorteil. Ich bin jung und unvoreingenommen, habe keine festgefahrenen Muster. Stattdessen bin ich offen für neue Inputs und Feedback. Es ist mir wichtig, zuzuhören und von anderen zu lernen. Ich beobachte andere Trainer und deren Herangehensweisen. Besonders beeindruckend finde ich Jaron Siewert, der mit 30 Jahren bereits ein Team trainiert, das in der Champions League spielt. Das wäre auch mein Ziel. Ich weiss, dass ich noch viel lernen muss, aber ich möchte vom Handball leben. Gleichzeitig will ich den Weg geniessen und aus den Erfahrungen lernen.
Eine deiner ersten «Amtshandlungen» als Cheftrainer war es, der Mannschaft den Übernamen «La Familia» zu geben. Was steckt dahinter?
Beim ersten Meeting habe ich dem Team meine Prinzipien erklärt. Ich habe betont, dass es mir wichtig ist, dass wir als Team zusammenarbeiten und dass keiner egoistisch handelt. Den Begriff «La Familia» habe ich damals gar nicht verwendet, das kam von den Spielern selbst. Sie haben meine Botschaft so verstanden und entschieden, dass es ihr Schlachtruf wird. Die Idee dahinter ist, dass die Teams in der Nationalliga B athletisch und taktisch auf einem ähnlichen Niveau sind. Deshalb ist es umso wichtiger, als Team zusammenzuhalten.
Auffällig ist: Anders als viele Coaches steht du während der Spiele am Ende der Bank und setzt dich nie hin. Warum hält es dich nicht auf der Bank?
Es überrascht mich, dass das hier auffällt. In Spanien ist es ganz normal. Für uns ist es Routine, uns zu bewegen, uns mit den Assistenten auszutauschen. Für mich ist das der beste Weg, um das Spiel zu überblicken und die schnellen Pausen zu kontrollieren. Mir ist es wichtig, nah bei meinen Spielern zu sein, um schnell Feedback zu geben. Es unterstreicht auch die Idee der Familie, die wir im Team leben.
Gibt es weitre Unterschiede zwischen dem Spanischen und dem Schweizer Handball?
Einer der auffälligsten Unterschiede ist die körperliche Präsenz der Spieler. In Spanien haben wir nicht so viele grosse und entsprechend physisch starke Spieler, wie man sie in der Schweiz oder in den nordischen Ländern findet. Diese körperliche Überlegenheit ermöglicht es ihnen, auch von ausserhalb des Torraums Tore zu erzielen. Im Schweizer Handball wird daher oft auf die physischen Aspekte fokussiert, wie beispielsweise beim Sprung- oder Wurftraining. In Spanien legen wir hingegen mehr Wert auf die Strategie. Eines der ersten Dinge, die wir unseren Spielern beibringen, ist das Lesen des Spielfelds. Sie müssen die Freiräume erkennen und taktisch agieren. Dadurch spielen sie oft schneller.
Miriam Hetzel