NLB-CAPTAIN MARIO GULL: «ICH BIN KEIN SEHR LAUTER ANFÜHRER»
Kurz vor dem letzten Playoff-Spiel, spricht NLB-Spieler Mario Gull über eine erfolgreiche Saison, die hinter ihm und seinem Team liegt. Ausserdem verrät der 24-Jährige im Interview, weshalb er lieber in Zürich als in San Jose (CA, USA) Basketball spielt und was ihm an seiner Rolle als Captain besonders gefällt.
Elisabetta Negri: Seit wann spielst du Basketball?
Mario Gull: Ich habe mit 7 Jahren angefangen. Damals spielte ich noch bei der BC Zürich Wildcats Akademie, die nun seit einigen Jahren GC Basketball Akademie heisst. Meine Erinnerungen an den Basketballplatz reichen aber noch weiter zurück, da ich viele Stunden mit meiner Schwester im Geräteraum verbracht habe, während meine Mutter, Patricia De Luca Gull, damals das Training der Junioren leitete. Heute ist sie als Sportchefin bei GC Basketball tätig. Die Leidenschaft für Basketball liegt bei uns in der Familie.
Du hast dich auch im Tennis versucht. Weshalb hast du dich schlussendlich dann doch für Basketball entschieden?
Genau, begonnen habe ich mit Basketball, bin dann aber ein paar Jahre später zum Tennis gekommen. Ich habe damit angegangen, weil mir, zur Förderung der Koordination die Ausübung eines Sportes mit anderen Bewegungsabläufen empfohlen wurde. Als grosser Roger Federer Fan fiel meine Wahl auf Tennis. Am Ende habe ich sogar Wettkampftennis gespielt. Irgendwann musste ich mich aber entscheiden, auf welche Sportart ich mich künftig konzentrieren wollte. Meine Wahl fiel eindeutig auf Basketball, weil ich den Mannschaftssport dem Einzelsport vorziehe. Während ich mich im Basketball als Teammitglied glücklich und selbstbewusst fühlte, musste ich im Tennis oft allein zu den Spielen reisen, was mich etwas bedrückte. Deshalb fiel mir die Entscheidung leicht.
Seit dieser Saison bist du der Captain des NLB-Teams. Vom Team wirst du als engagierter und motivierender Anführer geschätzt. Wie siehst du dich selbst in dieser Rolle?
Das freut mich zu hören, gleichzeitig ist diese Frage nicht leicht zu beantworten. Über mich selbst würde ich sagen, dass ich kein sehr lautstarker Anführer bin. Ich bin eher jemand, der die Dinge gerne gut macht, und jemand, der ziemlich hohe Ansprüche an sich selbst stellt. Ich versuche immer mit gutem Beispiel voranzugehen und das Beste aus mir herauszuholen. Als Captain erwarte ich von meinen Teamkollegen nichts weniger, als dass sie mit derselben Einstellung an die Sache gehen. Als teamorientierter Spieler fällt es mir leicht, meine Mitspieler in Positionen zu bringen, in denen sie zu Höchstleistungen auflaufen können.
Wie reagieren deine Teamkollegen auf dich, wenn du sie auf dem Feld anführst?
In unserem Team gibt es viele starke Persönlichkeiten. Oft ist meine Rolle eher die eines Beraters als die eines Anführers. Ich konzentriere mich darauf, die Energie der Gruppe zu lenken und dabei jeden Spieler zu respektieren, ihm zuzuhören und zu unterstützen. Dazu gehört es genauso zu wissen, wann es an der Zeit ist, andere zu Wort kommen zu lassen, wenn sie ihren Frust rauslassen müssen, wie es dazugehört, ihnen auch mal meine Meinung zu sagen, wenn es die Situation erfordert. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die ich als Kapitän zu bewältigen habe. Ich bin sicher, dass ich persönlich noch einiges dazulernen kann, glaube aber, dass es mir gelingt, die Energie und die Emotionen im Team in eine positive Richtung zu lenken.
Was ist eine wichtige Lektion, die du beim Basketball gelernt hast?
Disziplin. Den Sport und die Schule unter einen Hut zu bringen, hat mir geholfen, meinen Rhythmus zu finden. Ich musste meine Zeit strukturieren und die richtige Organisation finden, um neben dem Sport auch in der Schule die Leistung zu bringen. Wenn man erfolgreich sein will, muss man lernen, wie man in einem systematischen Umfeld funktioniert. Im Basketball gibt es komplexe Spielsysteme, die von dem Team getragen werden. Dennoch gibt es Momente, in denen man als Individuum hervorstechen kann und sogar muss, um das Spiel am Ende gewinnen zu können. Ähnlich verhält es sich auch im Studium oder bei der Arbeit: Beides gibt mir eine gewisse Grundstruktur, individuelle Auszeiten sind aber auch hier möglich und wichtig für den Ausgleich.
Wie schwierig ist es, diese Disziplin über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten?
Während Covid, als wir nicht trainieren konnten, habe ich gemerkt, dass sich mein Tagesablauf von einem auf den anderen Tag völlig verändert hat. Ich hatte plötzlich mehr Freizeit, konnte mich aber nicht dazu durchringen, mehr zu lernen. Also fing ich an, online Schach zu spielen. Ich hatte erkannt, dass ich ein wettbewerbsorientiertes Umfeld brauchte, um einen Ausgleich zum manchmal langweiligen Alltag zu schaffen. Dennoch: Schach ist zwar unterhaltsam, kann den Sport aber nicht auf Dauer ersetzen. Ausserdem sehe ich die Disziplin nicht als Zwang, denn ich gehe gerne zum Training und es würde mir fehlen, wenn ich darauf verzichten müsste.
Du hast bereits angetönt, dass es nicht immer ganz einfach war, die Schule und den Sport unter einen Hut zu bringen. Was würdest Du deinem jüngeren Ich mit auf den Weg geben?
Umgib dich mit Menschen, die deine Leidenschaft unterstützen, die dich so akzeptieren, wie du bist, und die verstehen, wo du deine Prioritäten setzt. Nimm dir die Zeit, mit den richtigen Leuten zusammen zu sein. Denn die Erinnerungen, die du mit ihnen und dem Sport verbindest, sind so viel mehr wert als die eine Party, die du wegen eines Spiels am nächsten Tag verpasst hast. Und: Gib niemals auf.
Von 2016 bis 2017 hast du die Highschool Bellarmine College Preparatory in San Jose, CA in den USA besucht, wo du ebenfalls Basketball gespielt hattest. Würdest du sagen, es gibt Unterschiede zum europäischen Basketball?
Mein Eindruck von der Basketballkultur in den USA ist, dass alles ein bisschen mehr auf individuelles Können und körperliche Athletik ausgerichtet ist, während in Europa die Aufmerksamkeit mehr auf das Erreichen von Zielen als Kollektiv gerichtet ist. In der Schweiz liegt der Fokus besonders auf der Technik, die fast wie eine Kunstform behandelt wird. Doch das Publikum machte für mich den grössten Unterschied. Zwar gab es an den Highschool-Spielen immer mehr Zuschauer als in Zürich, doch ich würde lieber vor hundert Fans hier spielen als vor Tausend dort, denn die Atmosphäre, die unsere Fans hier schaffen, ist einfach etwas ganz Besonderes.
Wie siehst du deine Rolle bei GC Basketball?
Als Kind habe ich 2009/10 den Final gesehen, als Zürich den letzten NLB-Titel gewann und in die NLA aufstieg. Ich erinnere mich an die Emotionen, die ich während der ganzen Saison bei den Spielen hatte und an die Spieler, die zu meinen Vorbildern wurden. Sie in Aktion zu sehen, hat mich dazu inspiriert, hier in der NLB genauso zu spielen wie sie. Seither war es meine Motivation, in Zürich zu spielen und ich träumte davon, die Meisterschaft zu gewinnen und mit den Teamkollegen, mit denen ich schon als Kind Basketball spielte, in die NLA aufzusteigen. Ich hoffe, dass auch ich für einige der GC-Kids, die zu unseren Spielen kommen, eine Inspiration sein kann.
Elisabetta Negri