In seinen 28 Jahren hat Tim Vögtli schon mehr erlebt als manch 82-Jähriger. Als er ein Jahr alt war, zog seine Familie aus beruflichen Gründen von Basel nach Shanghai. Dort begeisterte ihn später der Lehrer einer englischen Schule für Rugby. Inspiriert von Youtube-Videos träumte er schon in Shanghai davon, einmal für die Schweizer Rugby-Nati aufzulaufen. Er blieb dem Sport treu, auch als er für ein Maschinenbaustudium nach England – der Heimat des Rugby – auswanderte. Nach einem Praktikum in Luzern zog es ihn 2016 für das Masterstudium in Maschinenbau an die ETH Zürich. Kaum angekommen, heuerte er bei GC Rugby an. Kurze Zeit später wurde er für die NLA aufgeboten und bei GC zum Club-Captain gewählt.
Gegner auf dem Feld, Freunde in der Bar
Obwohl es auf dem Spielfeld zum Teil äusserst hart zu und hergeht, ist Rugby ein sehr sozialer Sport. «Auf dem Spielfeld bin ich ehrgeizig und gnadenlos», verrät Tim Vögtli. «Doch nach dem Spiel ist es gang und gäbe, dass die beiden gegnerischen Mannschaften zusammen essen.» Da Rugby eine Nischensportart sei, kenne man sich untereinander und erzähle sich jeweils die neusten Ereignisse aus Familie und Freundeskreis. Im Vergleich zu anderen Sportarten herrsche beim Rugby keine Feindschaft zwischen den Clubs, auch die Fans bekriegen sich nicht. «Wir alle lieben Rugby, das vereint uns», hält Vögtli fest.
Akt-Kalender gegen Krebs
Dass Rugby ein sozialer Sport ist, beweist GC seit Jahren: 2018 beschlossen Tim Vögtli und seine GC-Teamkollegen, sich mit einem Akt-Kalender für wohltätige Zwecke zu engagieren. «Als wir noch auf der Suche waren nach einer geeigneten Organisation, an die wir das eingenommene Geld spenden konnten, erkrankte ein Freund eines Spielers an Krebs», erinnert sich Tim Vögtli. «Deshalb habe ich schliesslich mit der Krebsliga Zürich Kontakt aufgenommen.» Dort war die Freude über die Spende in der Höhe von rund 5000 Franken gross, weshalb GC Rugby auch 2019 den Erlös eines weiteren Akt-Kalenders der Krebsliga zukommen liess. «Noch im selben Jahr erkrankte gar ein Teamkollege an Krebs», erzählt Tim. «Für mich persönlich war das die erste Erfahrung mit dieser Krankheit.» 2020 entschied sich GC dafür, die Spenden dem Verband «Die Dargebotene Hand» zukommen zu lassen. «Dann starb jemand aus meiner Familie an Krebs und auch unser Teamkollege verlor den Kampf gegen die Krankheit», so Vögtli. «Als Team wollten wir der Frau unseres Kollegen gerne beistehen, doch durch den Lockdown konnten wir sie nicht einmal treffen.»
Vom Spendenempfänger zum Charity-Partner
Als das Team endlich wieder gemeinsam auf dem Spielfeld stand, erfuhr Tim von weiteren Kollegen, die in der Familie oder im Freundeskreis mit Krebs in Kontakt gekommen waren. Deshalb wurde die Zusammenarbeit mit der Krebsliga Zürich intensiviert: Seit 2020 verbindet GC Rugby und die Krebsliga Zürich eine Partnerschaft. Die Spieler tragen nun das Logo der Krebsliga auf ihren Trikots und sammeln zweimal jährlich an sogenannten Charity Days Spenden für die Organisation. Dabei spielen die 1. und 2. Mannschaft der Männer sowie die Frauen gegen auswärtige Gegner, sammeln so Spenden und machen auf die Krebsliga aufmerksam. Federführend bei der Zusammenarbeit und der Organisation der Charity Days ist nach wie vor Tim Vögtli. «Da ich mein Amt als Club-Captain im vergangenen Sommer abgegeben habe, hoffe ich, dass ich in Zukunft noch mehr Zeit in die Zusammenarbeit investieren kann», wagt er einen Ausblick.
Vom Rugby zu Laufschuhen
Doch Vögtli ist auch beruflich sehr engagiert. Seit über vier Jahren arbeitet er bei der Schweizer Schuhmarke On, seit gut einem Jahr als Demand Planning Lead. Dort gehört es zu seinen Aufgaben, abzuschätzen, welche Produkte in eineinhalb Jahren auf dem Europäischen Markt gefragt sein werden, um dann dem Produktionsteam konkrete Modelle in Auftrag zu geben. «Die Arbeit macht grossen Spass», so Vögtli. «Doch es gibt immer wieder Challenges, die uns auf Trab halten.» So hatte das Unternehmen zu Beginn der Pandemie vor allem auf dem Europäischen Markt zu kämpfen und dann – als auch in Asien strenge Lockdowns galten – mit den Produktionsstandorten im Osten. Trotzdem lasse sich seine Leidenschaft zum Rugby gut mit dem Job vereinbaren. «Bei On wird viel Wert auf eine gute Work-Life-Balance gelegt», freut sich der zwei Meter grosse Hühne.
Zwischen Heimatgefühlen und Fernweh
Für Tim Vögtli war schon vor Jahren klar, dass er irgendwann nach Shanghai zurückzukehren möchte. «2019 war ich zuletzt für zwei Wochen geschäftlich in China und habe gesehen, wie stark sich Shanghai in den letzten Jahren verändert hat», erzählt Vögtli. Zudem seien mittlerweile auch seine Eltern in die Schweiz zurückgekehrt, weshalb er hier nun nicht nur Freunde, sondern auch Familie habe. Trotzdem kann er sich noch immer vorstellen, irgendwann wieder in China zu leben. «Aber wohl nicht in den nächsten Jahren», gibt er Entwarnung. «Als Kind habe ich die Schweiz kaum kennengelernt. Deshalb gibt es hier noch viel zu entdecken.»
Pamela Schefer