GC INSIDER: Amir, Du hast im Mai beim Sieg gegen Luzern Dein 200. Spiel für GC Zürich absolviert. Damit hast Du einen Harald Gämperle oder Deinen Trainer Bruno Berner überholt und kommst in die Bereiche von Pascal Zuberbühler und Thomas Bickel. Was bedeutet Dir das?
Amir Abrashi: Ich bin unglaublich stolz darauf und kann es selbst kaum glauben. Es ist eine riesige Ehre, dass mein Name nun für immer neben solchen Legenden im Club stehen wird.
Wie ist diese starke Bindung zu GC entstanden?
Obwohl ich im Thurgau aufgewachsen bin, hat es für mich von Klein auf immer nur diesen einen Club gegeben. Ich bin oft nach Zürich gefahren und habe im Hardturm mit meinem Verein mitgefiebert. GC ist einfach GC. Auch wenn es zwischendurch schwere Zeiten gibt. Den Namen, den Brand, die Geschichte, die Titel… das alles kann GC niemand wegnehmen.
Und dann bist Du selbst als Fussballer zum Grasshopper Club Zürich gekommen.
Ja. Als ich von Winterthur zu GC gewechselt habe, ist ein Traum wahr geworden. Selbst für Blau-Weiss zu spielen, ist ein unglaubliches Gefühl. Das zeigt sich gerade auch bei Niederlagen. Ich habe noch nie gern verloren, und bei GC ist das noch extremer. Niederlagen nehmen mich richtiggehend mit. Körperlich und psychisch. Dann bin ich zwei Tage lang nicht zu gebrauchen. Wenn wir siegen, bin ich ein anderer Mensch. Deshalb arbeite ich jeden Tag hart, um das nächste Spiel zu gewinnen. Mit dieser Einstellung will ich GC noch so lange wie nur möglich unterstützen.
Heute bist Du eine zentrale Integrationsfigur im Team. Wie siehst Du Deine Rolle?
Als extrem wichtig. Es ist selbstverständlich, dass Mitspieler, die aus dem Ausland kommen, all das, was GC ausmacht, nicht kennen, und noch keinen Bezug zum Namen «GC» haben. Ich hingegen kenne den Verein schon lange, habe einen Titel mit ihm gefeiert und die GC DNA tief verinnerlicht. Das alles kann und muss ich weitergeben. Ich muss erzählen und vor allem vorleben, was es heisst, für GC zu spielen.
Du hast aber nicht nur im Team eine wichtige Rolle, sondern auch gegenüber der Clubführung, gegenüber den Fans, gegenüber den Medien… Belasten Dich diese Aufgabe auch ein Stück weit?
Es ist richtig, dass viel auf meinen Schultern lastet. In der vergangenen Saison hat mich das belastet. Ich dachte, ich sei für alles verantwortlich, und habe mir unglaublich viel aufgebürdet. Dies hat mir nicht gutgetan und ist einer der Gründe, warum ich so oft verletzt war.
Aber ich habe gelernt, mit dieser Rolle umzugehen. Ich habe zum Bespiel begriffen, dass es viele weitere Personen im Verein gibt, die Verantwortung übernehmen, und ich nicht immer alles machen muss. Enorm geholfen hat mir auch, dass wir Pascal Schürpf verpflichtet haben. Der beste Transfer, den wir überhaupt machen konnten: Er kennt die SuperLeague seit vielen Jahren, er kennt die Schweiz, er kennt GC – er kann viele Aufgaben übernehmen und mich unterstützen. Das alles führt dazu, dass ich mich in dieser Saison auch körperlich besser, fitter fühle.
Du bist nicht nur auf dem Fussballplatz ein Kämpfer. Du hast einmal gesagt, dass Dir in der Karriere nie etwas in den Schoss gefallen sei, dass Du Dir immer alles hart erarbeiten musstest.
Das ist so. Es beginnt damit, dass sich meine Familie nichts aus Fussball macht. Sie unterstützt mich zwar, verantwortlich war aber von Beginn weg immer nur ich. Ich musste selber schauen, wie ich ins Training komme und dass ich mich fussballerisch weiterentwickeln kann. Als ich mit 12 Jahren auf die Thurgauer Sportschule in Bürglen ging, wurde ich nicht hingefahren, wie meine Kollegen, sondern habe alleine den Zug genommen. Meinem Vater war vor allem wichtig, dass ich eine Lehre absolviere. Also stand ich bereits um sechs Uhr in der Bude und habe geschweisst. Dann bin ich zum Training gefahren, danach wieder zurück an den Arbeitsplatz. Das war intensiv und fordernd. Aber es hat mich viel gelehrt. Vor allem Disziplin. Zudem gibt mir das zweite Standbein eine gewisse Sicherheit und Ruhe. Ich bin meinem Vater enorm dankbar, dass er darauf bestanden hat.
Später hatte ich mit Verletzungen zu kämpfen, oder ich musste mich gegen grössere, talentiertere Fussballer behaupten. Das war auch an der Sportschule so: Ich war bei Weitem nicht der Beste. Aber bis heute bin ich der einzige dieser Schule, der es im Sport so weit geschafft hat.
Hast Du aufgrund der Umstände gelernt, gegen Widerstände anzukämpfen? Oder ist Dir dieser Charakterzug in die Wiege gelegt worden?
Den Ehrgeiz habe ich von meiner Mutter. Hindernisse führen nur dazu, dass wir unsere Ziele mit noch mehr Nachdruck verfolgen. Sie fordern uns heraus, bringen uns weiter. Meine Eltern haben mir immer vermittelt, dass sich Einsatz und Arbeit auszahlen. Man ist selbst verantwortlich dafür, was man aus seinem Leben macht. Man muss sich einsetzen, wenn man etwas erreichen will.
Für meine Eltern, die in den 80er-Jahren in die Schweiz gekommen sind, war das nicht anders. Sie mussten hart arbeiten, um sich hier ein Leben aufzubauen. Es ist nicht einfach, eine fünfköpfige Familie mit nur einem Lohn, der nicht gross war, zu ernähren. Und trotz allem kauften sie mir immer alle Trainingskleider, die ich benötigt habe – und die waren wirklich nicht günstig. Ich weiss gar nicht, wie sie das gemacht haben.
Du hast also von Klein auf Deine Karriere ganz allein vorangetrieben und damit enorm viel erreicht. Das muss ein unglaublich gutes Gefühl sein. Worauf bist Du besonders stolz?
Besonders stolz bin ich darauf, dass ich es ins Ausland geschafft und mich dort durchgesetzt habe. Ich habe fünfeinhalb Jahre für den SC Freiburg gespielt. Wenn man plötzlich gegen einen FC Bayern München spielt oder vor der gelben Wand in Dortmund, sind das unglaubliche Erlebnisse. Und in der Bundesliga ist alles zwei Nummern grösser als in der Schweiz. Zu Beginn habe ich während den taktischen Besprechungen manchmal nur noch an die weisse Decke gestarrt, weil mir völlig Sturm im Kopf war von all diesen taktischen Überlegungen und Vorgaben.
Aber auch in Freiburg musste ich Hindernisse überwinden, als ich zu Beginn oft auf der Bank sass. In dieser Phase hat mich der Co-Trainer nach den Trainings oft gefragt, ob ich ins Video-Studium kommen wolle, was ich dankend angenommen habe. Einige Mitspieler haben mich damit aufgezogen und gefragt, warum ich das freiwillig mache. Ich wusste warum. Dank den Videoanalysen habe ich irgendwann begriffen, wie ich stehen und mich auf dem Feld bewegen muss. Und dann habe ich plötzlich regelmässig gespielt.
Deinen Willen und Kampfgeist kann GC gerade in der jetzigen Situation gut gebrauchen. Was ist nötig, damit das Team vom Tabellenende wegkommt?
Es braucht hundertprozentigen Einsatz. In jedem Spiel! Von allen! Wir haben drei Siege aus den letzten fünf Spielen geholt und Stade-Lausanne-Ouchy im letzten Match deutlich geschlagen. Das ist ein Anfang, aber davon dürfen wir uns keinesfalls blenden lassen. Nun muss es weitergehen. Und mit etwas Glück können wir ja vielleicht auch in Genf einen Sieg einfahren. Servette ist aus meiner Sicht aktuell die beste Mannschaft der Schweiz. Aber wenn wir als Mannschaft geschlossen auftreten und sich alle voll reinhängen… wer weiss?!
Du sprichst die Geschlossenheit an. Um erfolgreich zu sein, muss das Team, das im Sommer vollkommen neu zusammengestellt worden ist, zusammenwachsen. Wie weit seid Ihr in diesem Prozess?
Wir haben wichtige Schritte nach vorne gemacht. Natürlich ist noch nicht alles perfekt, aber ich habe den Jungs gerade vor ein paar Tagen gesagt, dass es jetzt einfach funktionieren muss. Wir sind Profis. Irgendwann muss die Lern- und die Kennenlernphase abgeschlossen sein, auch wenn noch nicht alles passt. Man kann sich nicht ewig damit trösten, dass irgendwann schon alles besser wird. Es muss jetzt klappen. Die Saison geht schnell vorbei, und plötzlich ist es zu spät, um noch aus dem Keller herauszukommen.
In der SuperLeague ist aktuell noch alles nahe beisammen. Zwei, drei Siege und wir stehen im Mittelfeld. Das muss unser Anspruch, unser Ziel sein. Dafür braucht es Führungsspieler, die den Einsatz vorleben, aber elf Spieler, die sich auf dem Feld verreissen. Wenn wir das machen, bin ich überzeugt, dass wir in den nächsten vier Partien unsere Punkte holen und positiv in die Winterpause gehen können.
Maurice Desiderato